Wie Kanufahren das Leben eines Jungen bereichert
Im Heimalltag können Verweigerungshaltungen der Jungen gegenüber den Anforderungen und Wünschen der Erzieher, also deren Normalität, größere Herausforderungen darstellen. Wenn wir aber davon ausgehen, dass es für jedes originelle Verhalten der Jungen gute Gründe gibt und die Absicht dahinter steht, ein Problem zu lösen, so können wir auch die als Widerstände erlebten Verhaltensweisen der Jungen als eine Form ihrer Kooperation betrachten. Ein gutes Beispiel dafür ist Hans, der zu Beginn seines Aufenthaltes bei uns vor ca. 1,5 Jahren jegliche erlebnispädagogischen Aktivitäten, so auch unser geliebtes Kanufahren, „blockierte“, indem er seine Teilnahme konsequent und mit Erfolg verweigerte. Was für uns Mitarbeiter der Gruppe zunächst einem gezieltem Boykott gleichkam, war für Hans der Versuch, sein Problem mit seinen Möglichkeiten zu lösen. Hans hatte aus seiner Sicht gute Gründe für sein Verhalten. Wie sich herausstellte, hatte er eine Phobie vor jeglichen Arten von Kriech- und Krabbeltieren. Gewässer außerhalb von Schwimmbädern galten ihm als unberechenbar und Angst einflößend, dazu kam die Unerfahrenheit mit dem „Medium“ Kanu, eine Unsicherheit im Schwimmen sowie allerlei allergische Reaktionen der Haut, Augen und Atemwege an der frischen Luft. Die zunächst frustrierende Erfahrung, sich als Erzieher diesem Jungen beugen und eine Niederlage einstecken zu müssen, führte bei uns Mitarbeitern schließlich zu der Akzeptanz seines Widerstandes. Die Erlaubnis, daheim bleiben zu dürfen, entlastete ihn sehr und schien ihm Verständnis für seine Situation entgegen zu bringen. Daraus entstand bei Hans zunehmend der Wunsch, das Kanufahren kennen zu lernen und auch mal auszuprobieren. Hans konnte in diesem Prozess sein Tempo bestimmen und seine Entwicklungsschritte eigenverantwortlich gehen. Das lösungsorientierte Verweigerungsverhalten, für Hans auch in anderen Lebensbereichen ein bewährtes und von daher gern praktiziertes Verhalten, hat sich im Falle des Kanufahrens deutlich zum Positiven verändert. Hin und wieder zeigt es sich uns noch als Relikt, als Gewohnheit aus früheren Zeiten und dient gewissermaßen als Test für uns Pädagogen. Der Spaß beim Kanufahren und die Anerkennung für seine Leistung führte schließlich dazu, dass Hans trotz eines dramatischen Kanuerlebnisses bei Hochwasser an der „Ill“ im Frühjahr sogar in der Sommerfreizeit begeistert die „Ardeche“ mitfuhr. Die „Ardeche“ ist ein Wildwasserfluss, der durch eine Schlucht führt und viele Stromschnellen aufweist. Aufgrund mangelnder Ausstiegsmöglichkeiten musste die Gruppe 25-30 km zurücklegen, was acht Stunden Anstrengung bedeutete. Hans fuhr zusammen mit einem Erzieher in einem Boot und kenterte viermal. Während der Fahrt äußerte er nicht ein einziges Mal Unmut. Hans hatte seinen Spaß und auch wir Erzieher wurden an diesem ungetrübten Sommertag mit einem nicht geringen Maß an Freude bedacht.
Jungen, die regelmäßig erleben, dass sie ernst genommen werden, dass sie Fehler machen dürfen, dass sie o. k. sind, wie sie sind, die Ermutigung erfahren, schaffen es zunehmend, sich von ihren sich selbst bestätigenden Negativmustern zu lösen und neuen Überzeugungen zu folgen. Wir, das LBZ St.Anton, danken dem Verein KiFu e.V. für die großzügige Spende, der Hans und anderen Jugendliche unterstützt mutig ihr Leben zu gestalten. (Volker Holm)